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Historia Universalis |
Mittelalter 2 |
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Themenseite
Geldwesen und „Wucher“ im Mittelalter |
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1. Geldwechsel, Kredit und Zins – Finanzpraktiken auf der
Champagne-Messe |
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2. Geldanleihe gegen Zinsen. Aus einem italienischen Vertag
von 1161 Originalquelle mit Übersetzung und
Kommentar |
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3. Geld und Geldverleih im Mittelalter in
Anlehnung an Jacques Le Goffs
„historisch-anthropologischen Versuch“ Das
Mittelalter und das Geld, 2010, gefolgt von einem Rückblick auf Le Goffs erstes Buch zum Thema. |
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4. Der alltägliche Wucher… Kurze Auszüge aus einer Studie zur
Kreditwirtschaft von Bruno Kuske, 1927 |
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5. Literaturhinweise |
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Wird ergänzt... |
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Last update: 21.10.2010 |
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© W. Geiger 2009 |
1. Geldwechsel, Kredit und Zins
– Finanzpraktiken auf der Champagne-Messe Aus einer Abhandlung über die Geschichte
der Messe aus dem 14. Jh. |
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Im Cartularium des
Michel Caillot (Bibliothèque
municipale de Provins)
finden sich zwei Berichte über die Champagne-Messe, der zweite stellt eine Abhandlung
über die Geschichte und die Geschäftspraktiken der Messe dar. Der nicht
datierte Text stammt aller Wahrscheinlichkeit vom Ende des 14. Jh.s (datum ante
quem: 1356) und wurde 1863 in der umfassenden
historischen Arbeit von Félix Bourquelot im Anhang abgedruckt. Nachfolgender Auszug
beschreibt die Zinspraktiken der Geldwechsler und deren Verschleierung. – Es
folgen das altfranzösische Original und die deutsche Übersetzung. |
Aus: Ce sont les Coustumes,
Stille et Usaige de la Court
de Chancellerie des Foires de Champagne et de Brie, in : Félix Bourquelot :
Etudes sur les foires de Champagne, sur la nature, l’étendue & les
règles du commerce qui s’y faisait aux XII, XIII & XIV, siècles.
Mémoires présenté par divers savant à l’Académie des Insciptions
et Belles-Lettres de l’Institut Impérial de France, Ser.2,
t.5, 1865. Reprint Brionne : Le Portulan [ca. 1970], p. 353sq. |
Der Text beschreibt den Vorgang am Beispiel eines
Geschäftes zwischen « Jacques de Florence » - Jakob aus Florenz –
und « Baudouin de Malines » – Balduin aus
Mechelen (Flandern). Original : |
[...] Et quant [ung d'] iceulx marchans de Ytalye avoit achaté draps d'un
marchant de Malines, il disoit
à son marchant de draps : venez au change de tel changeur;
je vous le feray créancier à respondre
pour moy de cent livres que je vous doy pour les draps que j'ay achatez
de vous, ce me prestera son greffe. Si aloient au change d'icelluy changeur, et disoit li
marchant d'Ytalye au changeur : respondez
pour moy à ce marchant de Malines de cent livres
que je luy dois. Lors le changeur luy en respondoit, et ly créancier prometoit à payer
ces cent livres, et faisoient leurs escrips en tables de cire, présent l'un et l'autre; et estoit si escrips que li changières avoit [promis à
Baudouin de Malines, pour] Jacques de Florence, [de] contenter as c livres
[qu'il devoit], et estoit
cy escrips aux tables du
costé et de la partye que
les debtes que li changeur
debvoit estoïent esciptes, et de l'autre partye
des tables estoient escriptes
les debtes que l'on debvoit
audit changeur; et sy tost
comme li changeur avoit créance pour Jacques de
Florence cent livres à Baudouin de Malines, il escripvoit
de telle autre partye des tables : Jacques, nobis, pour [Baudouin] cent livres […]. Et
ledit Jacques de Florence et ledit Baudouin de Malines escrivoient
ainsy pareillement en leurs tables, par quoy leur escript estoit pareil. Et par pareille manière se despendoient et despensoîent li
denier que l'en apportoit es foires communément, et
avoit li changeur II d. tourn.
pour livre des deniers qu'il créançoit de celuy pour quy il [respondoit]. Et ainsy furent li
premier contrault de créant en foire. Aucune fois ung changeur prestoit son
greffe à ung marchant et créançoit
pour îcelluy marchant à ung
autre marchant XL livres, et faisoit le escript en ses tables, combien que li changiers n'eust aucun argent;
et de ce nasquirent et engendroient
les usures, et on prenoit par foire par cent livres
xx, xxx, xi,, l, lx s. t. selon ce que en la foire avoit argent, une fois plus, une fois moins, et puis
refusèrent li debteur à payer les [usures] à iceulx usuriers, et pour ce fist
l'en lectres obligatoires
de foire, où ly obligé confesse devoir telle somme
d'argent pour prest sans usure, et renonce ad ce
qu'il puisse rien dire con[tre ce] qui par lectres obligatoires peult
apparoir, combien que les usures y soient comptées. Aus: Félix Bourquelot, Etudes sur les foires de Champagne…, t.2, 1865, Reprint Brionne
(Le Portulan) o.J. (ca. 1970), S. 353. |
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Übersetzung : |
[…] Und
wenn einer jener Händler aus Italien Tuche von einem Händler aus Mechelen gekauft hatte, sagte er zu seinem Tuchhändler:
Kommt zum Stand des Wechslers; ich werde ihn anweisen Euch für meine hundert Livres einzustehen, die ich Euch für die Tuche schulde,
die ich von Euch gekauft habe. Wenn sie zum Wechseltisch dieses Geldwechslers
gingen, sagte der Händler aus Italien zum Wechsler: Gebt diesem Händler aus Malines auf meinen Namen hundert Livres,
die ich ihm schulde. Wenn der Wechsler dies in seinem Namen tat und der
Schuldner versprach diese hundert Livres zu
bezahlen, dann schrieben sie dies beide auf Wachstafeln, jeweils der eine in
Gegenwart des anderen; und so wurde es geschrieben, dass der Wechsler [dem
Balduin aus Mechelen für] Jakob aus Florenz
versprochen hatte die hundert Livres [, die er
schuldete] zu begleichen, und so wurde es geschrieben auf den Tafeln, auf der
einen Seite waren die Schulden geschrieben, die der Wechsler schuldete, und
auf der anderen die Schulden, die man dem Wechsler schuldete, und sobald der
Wechsler für Jakob aus Florenz mit hundert Livres
für Balduin von Mechelen in Zahlung getreten war,
schrieb er auf die andere Seite der Tafeln: Jakob nobis für [Balduin] hundert Livres […]. Und der besagte Jakob aus Florenz und der
besagte Balduin von Mechelen schrieben so
gleichermaßen auf ihren Tafeln, wodurch das Geschriebene gleich war. Und auf
solche Weise wurde das Geld ausgegeben, das man gemeinsam auf die Messe
brachte, und der Wechsler hatte zwei Tournois pro
Livre*, die er jenem in Rechnung stellte, für den er handelte. Und solcher
Art waren die ersten Schuldverträge auf der Messe. [...] Und daraus entstand
und entwickelte sich der Wucher und man nahm pro Messe für hundert Livres 20, 30, 40, 50, 60 usw., je nach dem, was es auf
der Messe an Geld gab, einmal mehr, einmal weniger, und dann weigerten sich
die Schuldner [die Zinsen] an diese Wucherer zu zahlen und deswegen machte
man Messeschuldbriefe, worin der Schuldner beteuert, die betreffende Summe
Geld für ein zinsloses Darlehen zu schulden und
darauf verzichtet irgendetwas [dagegen] zu sagen, was in den Schuldbriefen
erscheinen mag, wie viele Zinsen darin auch berechnet wurden. * gemeint ist wohl der Gros Tournois, der von Ludwig dem
Heiligen 1263 eingeführt wurde und 1/12 Livre wert war. W.G. Übersetzung: W. Geiger |
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Den
Hinweis auf diese Quelle verdanke ich dem Beitrag von Heinz Thomas zur
Geschichte der Messen (siehe unten), den ich auch zur weiteren Orientierung
empfehle. Im
Zusammenhang mit der Geschichte der Juden im Mittelalter liefert diese Quelle
einen von etlichen Nachweisen, dass das kirchliche Zinsverbot damals
keineswegs befolgt wurde, sondern allenfalls dazu führte die Zinspraxis zu
verschleiern. Es ist daher ein Mythos, der eine scheinbare Erklärung für die
populären Antijudaismus liefert, wonach der Geldverleih in „jüdischer Hand“
gelegen habe. Zu diesem Thema gibt es eine umfangreiche Fachliteratur seit
über hundert Jahren, die jedoch bislang kaum Eingang in die allgemeinen
historischen Darstellungen gefunden hat. Siehe
dazu: Der Mythos vom Jüdischen
Geldverleih – Vortrag auf dem
Historikertag 2006 / auf Historia
Interculturalis „Geldverleiher“ gegen „Bankiers“
– Entstehung des Geldverkehrs und dessen Träger. |
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2. Geldanleihe gegen Zinsen.
Aus einem italienischen Vertrag von 1161 |
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Der nachfolgend auszugsweise
dokumentierte Wechsel wurde am 16. Juli 1161 von Embrono
aus Genua für Salvo aus Piacenza ausgestellt und in
lateinischer Sprache ausgefertigt. Der Text stammt aus einer Abschrift im Cartularium des Giovanni Scriba,
der als Notar bei diesen Geschäften fungierte. Der eingangs im Genitiv
genannte Name bezeichnet den Auftraggeber, hier den Gläubiger. Das Cartularium des Giovanni Scriba
ist die älteste erhaltene Urkunde Genuas, die Edition erfolgte 1935 in zwei
Bänden: Mario Chiaudano / Mattia
Moresco: Il cartolare di
Giovanni Scriba, Torino (S. Lattes
& C.) 1935. Original : |
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Salvi Placentini] Testes
Obertus de insula, Ansaldus
Cintracus, Goçus et Obertus de Chiberra, Atto Scuvalo. Ego Embronus cepi mutuo a te Salvo placentino libras centum denariorum ianuensium de quibus usque annum unum solvam titi vel tuo misso per me vel meum missum
libras centrum viginti denariorum, sed, si usque festum proximum purificationis voluero tibi solvere predictas centum libras cum parte augumenti secundum racionem temporis, illas accipere debeas et propterea tuum habere nuncium.
Si ita non observavero penam dupli tibi stipulanti promito […] Mario Chiaudino / Mattia Moresco (Hg.): Il cartolare di Giovanni Scriba,
t. II, Turin (Lattes) 1935, S.24. |
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Übersetzung : |
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/Im
Auftrag von/ Salvo aus Piacenza] Zeugen: Oberto von der Insel, Ansaldo Cintraco, Gozzo und Oberto de Chiberra, Atto Scuvalo. Ich, Embrono, habe von Dir, Salvo
aus Piacenza, ein Darlehen von 100 Pfund Genuesischer Denare bekommen, für
die ich Dir oder Deinem Gesandten, durch mich oder meinen Gesandten, 120
Pfund innerhalb eines Jahres zurückzahlen werde; aber wenn ich bis zum
nächsten Fest der Reinigung die besagten 100 Pfund mit dem anfallenden Zins [wörtlich ungefähr: mit der zeitlich bedingten Erhöhung] zurückzahlen will, musst Du dies akzeptieren und dafür Deinen
Gesandten in Genua zur Verfügung haben. Wenn ich dies nicht einhalte,
verspreche ich Dir hiermit urkundlich, dass ich als Strafe das Doppelte
zahlen werde. [… Es folgen Bestimmungen für die Gewährleistung] Übersetzung: W. Geiger Englische
Version in: Robert S. Lopez / Irving W. Raymond: Medieval
Trade in the Mediterranean World. Illustrative Documents Translated with Introduction
and Notes, |
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Aus
der umständlichen Formulierung für den Zins geht dessen Sinn hervor, der
gerade theologisch anstößig war: nämlich dass Zeit Geld ist; die Zeit gehörte
jedoch Gott alleine. Aus den Bedingungen geht ferner hervor, wie hoch der
Jahreszins war und dass der Schuldner am Reinigungsfest, d.h. Mariä Lichtmess,
2. Februar, vorzeitig zahlen durfte mit dem bis dahin anfallenden Zins, das
wäre knapp ein halbes Jahr Laufzeit gewesen, dass er aber bei Verzug über
einem Jahr das Doppelte schuldig war. Auch
diese Quelle, neben etlichen anderen, macht deutlich, dass Zinsen für Kredite
im Mittelalter unter christlichen Geschäftsleuten üblich waren – wie könnte
es auch anders sein? Außer als Hilfeleistung unter Freunden hätte auch damals
niemand Geld verliehen ohne selbst etwas dabei zu verdienen. Quellen,
bei denen klare Hinweise auf Zinsen fehlen – und das sind leider die meisten
– , bedeuten damit nicht, dass keine Zinsen gefordert wurden. Vielmehr werden
sie in der oft überlieferten einfachen Form der Schuldverschreibung nicht
erwähnt, in der es nur heißt, das jemand einem
anderen bis zu einem bestimmten Datum soundsoviel
Geld zahlen muss. Somit ist nur die vom Schuldner zu zahlende Summe
festgehalten, nicht die ursprünglich geliehene. In der nicht ausgewiesenen
Differenz verbirgt sich das Interesse
des Kreditgebers, wie dann in den romanischen Sprachen sowie im Englischen
die Zinsen genannt wurden und werden. |
© W. Geiger 2010 |
3. Geld und Geldverleih im
Mittelalter in Anlehnung an Jacques Le Goffs „historisch-anthropologischen Versuch“ Das
Mittelalter und das Geld, 2010 |
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Der
nachfolgende Text greift einige Aspekte aus dem jüngsten Buch von Jacques Le
Goff auf und integriert sie in eine zusammengefasste Analyse der Problematik
der Geldwirtschaft im Mittelalter. Es ist somit keine Rezension des gesamten
Buches. Außerdem erfolgt am Ende ein Rückblick auf Le Goffs
erstes Buch zum Thema. Jacques Le Goff: Le Moyen Age et l’Argent. Paris (Perrin) 2010. Inzwischen
gibt es eine deutsche Ausgabe : Geld im Mittelalter, Stuttgart (Klett-Cotta), 2011. |
Cicero, De officiis – Über das
Werk siehe in Wikipedia Zur Qualifizierung der Berufe siehe die analytische
Zusammenstellung von Chr. Gizewski, TU Berlin, hier. Jörg Oberste, „Wirtschaftsethik nd
patristische Grundlagen“, in: Gert Melville
/ Martial Staub: Enzyklopädie des Mittelalters, Darmstadt (WBG), 2008, S.127. |
Jacques Le
Goff, der sich nach eigener Aussage zu jenen Historikern zählt, die der Macht
des Glaubens und der Kirche auf den mittelalterlichen Menschen einen sehr
hohen Stellenwert zumessen (Le Goff, S.105), räumt in seinem jüngsten Buch Das Mittelalter und das Geld im
Kapitel über den Wucher dennoch ein, dass das Wucherverbot im Mittelalter von
christlichen Geldverleihern oft genug missachtet wurde und dass der
Geldverleih ohne Zinsforderungen nicht denkbar war, jedenfalls nicht im
gewerblichen Geldwechsel und -verleih, der im Laufe des Mittelalters immer
stärker benötigt wurde. Dies ergibt sich schon aus den zahlreichen Traktaten
und Erzählungen über und gegen die Wucherer, die in ihrer Verurteilung des
Wuchers denselben als ein sozioökonomisches Phänomen beschreiben und die
somit indirekt, manchmal auch direkt bezeugen. Die theologische Begründung für die
Ablehnung des Zinses liegt darin, dass der
Geldverleiher Geld verdient ohne etwas dafür zu tun, sondern ausschließlich
für die Dauer des Kredits. In gewisser Weise ließ er sich also die Zeit
bezahlen, dies klingt noch in unserem modernen Sprichwort „Zeit ist Geld“ an.
Doch die Wurzel des Problems reicht noch tiefer. In der kirchlichen
Moralvorstellung ist der Wucherer nur eine Zuspitzung des Reichen, und dies
meint des reichen Händlers, auf den die Todsünde des Geizes abzielt. Die
Geringschätzung des Händlers und die Verurteilung seines Geschäfts als
ungerechtfertigte Bereicherung ist alt und kulturübergreifend: Schon im alten
Rom waren Händler schlecht angesehen, der Grund dafür dürfte, wie im frühen
Christentum auch, darin liegen, dass der Händler keine Arbeit im damaligen
Sinne leistete, weil die Weitergabe von Waren nichts Produktives hinzufügte,
während ein Bauer oder Handwerker etwas erschuf, das, wie auch im Sinne von
Marx, vergegenständlichte Arbeit war. In seiner Schrift Über das Ansehen der Berufe differenzierte dann Cicero allerdings
diese Auffassung noch dahingehend, dass für ihn nicht die persönliche Arbeit
ausschlaggebend war, denn aus der Sicht der Patrizier, zu denen er gehörte
und deren Vorstellungen er vertrat, war der angesehenste Beruf andere für
sich arbeiten zu lassen, aber vornehmlich in der Landwirtschaft, während
körperlich anstrengende Berufe dagegen ebenfalls schlecht angesehen waren,
wie auch bei den alten Griechen schon. Hier überschnitten sich also zwei
Moralvorstellungen, die auch später noch lange Gültigkeit haben sollten, in
gewisser Weise sogar bis heute. Und dazu gehört dann noch als Relativierung,
dass Cicero dem zu Reichtum gelangten Händler schließlich doch seine Reverenz
erwies, indem er dessen Erfolg anerkannte, zumal damals dieser Reichtum
häufig in den Grunderwerb investiert wurde, so dass aus dem Händler am Ende
doch noch ein Großgrundbesitzer wurde. Diese Beziehungen zwischen den
altrömischen und den christlichen Moralvorstellungen seit der Spätantike
beschreibt Jörg Oberste in Kapitel „Wirtschaft“ der Enzyklopädie des Mittelalters als eine „lange antike und
patristische Tradition, die den kleinen Markthandel zwar als Schauplatz für
Betrug und Diebstahl kritisiert, jedoch dem Fernhändler einen wichtigen
Dienst an der Gemeinschaft konzediert, der im Transport und Austausch
lebensnotwendiger Dinge bestehe.“ |
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Bereits im
frühen 11. Jh. schrieben unabhängig voneinander zwei Mönche über die Problematik von Moral und Wirtschaft:
Der eine verdeutlicht aus einem Gespräch mit einem Händler, dass dieser nur
durch Gewinn, also die Verteuerung der Ware beim Weiterverkauf existieren
kann, während der andere einen Fall zitiert, wo ein Pfandleiher einem
Kreditnehmer das Pfand nicht mehr zurückgeben wollte. (Le Goff, S.27).
Letzteres darf wohl als ein Beispiel für das praktische Einbehalten von
gefordertem Zins gelten, der sich damals je nach Laufzeit schnell auf 100%
subsumieren konnte, insbesondere, wenn durch Fristverzug auch noch die
besonders gegeißelte Form des Zinseszinses hinzukam. Le Goff legt
auch dar, wie im 13. Jh. die Möglichkeit geschaffen wurde, dass Wucherer am
Ende ihres Lebens durch Beichte und Buße die Absolution von ihren Sünden
erhalten konnten, wenn sie das wucherisch geraubte Geld vor ihren Tod oder
sogar noch nachträglich per Testament zurückerstatteten. Wie das praktisch
gehen sollte, ist freilich höchst unklar, und Le Goff stellt denn auch fest,
dass es nur ganz wenige Dokumente gibt, die solches belegen (Le Goff, S.105).
Das Interessante daran ist jedoch gar nicht, ob und wie oft es tatsächlich
geschah, sondern dass es von kirchlicher Seite her akzeptiert wurde, was ja
nichts anderes bedeutet, als dass ein Wucherer Zeit seines Lebens nicht
weiter behelligt sondern nur unter die Drohung mit der Höllenstrafe gesetzt
wurde, wie sie ja auch Dante im 7. Kreis seines Inferno beschrieben hat.
Diese Idee der späten Absolution kam zu Beginn des 13. Jh.s
auf (Le Goff, S.104), also ungefähr auf dem Höhepunkt der Kritik am Wucher,
der gemeinhin am IV. Lateranischen Konzil 1215
festgemacht wird. |
Zum IV. Lateranischen Konzil siehe Quelle und Kommentar auf der Seite der AG Deutsch-Jüdische Geschichte des Geschichtslehrerverbandes, sowie weitere Quellen zum Thema: hier |
Von der
Überlegungen christlicher Moral ausgenommen waren zunächst jüdische Geldverleiher, doch dann
wandte sich die Kirche auch gegen deren „Wucher“, so z.B. in den Beschlüssen
des diesbezüglich immer wieder zitierten IV. Lateranischen
Konzils, obwohl auch dort der „Wucher“ nicht verboten wurde. An verschiedenen
Orten und zu verschiedenen Zeiten gab es immer wieder ein räumlich und
zeitlich befristetes „Monopol“ jüdischen Geldverleihs – das aufgrund seiner
Begrenzung hier auch in Anführungszeichen gesetzt wird –, so etwa in dem
Kölner Privileg für die Juden von 1266, wo diesen der Geldverleih zugestanden
und dagegen ihren Konkurrenten, den Kawerschen,
untersagt wurde, oder desöfteren im ländlichen
Bereich, wie im 13. Jh. in den östlichen Pyrenäen (Roussillon),
wo sich zahlreiche Bauern bei jüdischen Geldgebern verschuldeten (Le Goff,
S.100), andere Beispiele gibt es auch aus dem deutschen Raum, insgesamt
handelt es sich jedoch nur um Einzelstudien, die uns einen partiellen
Einblick geben, keinen Überblick. Le Goff bilanziert aus der von ihm
untersuchten Forschungs- und Quellenlage, die sich gewiss stärker auf Frankreich,
das Mittelmeergebiet und England konzentriert, dass trotz der erwähnten
Einzelphänomene die Vorstellung einer exklusiven Beziehung der Juden zum Geld
kein historisches Fundament hat und vielmehr dem modernen Antisemitismus
entspringt. In England und Frankreich erfolgte ohnehin eine Vertreibung der
Juden im 13./14. Jh. (allerdings nicht aus allen Teilen Frankreichs), so dass
von da an christliche Geldverleiher das Geschäft für sich alleine hatten (Le
Goff, S.100). Doch weder zuvor noch danach (im mitteleuropäischen Raum) gab
es ein jüdisches Monopol im Geldverleih. Daran ändert sich vom Grundsatz her
auch nichts, wenn im 14. Jh. in einigen Städten und Landstrichen im Reich
nach den Vertreibungen wieder jüdische Händler und Geldverleiher angeworben
wurden und ein Ansiedlungsrecht oft nur unter der Bedingung bekamen, dass sie
Geld mitbrachten und durch den Geldverleih zur Verfügung stellten. |
Vgl. Michael Rothmann, „Geld“,
in: Enzyklopädie
des Mittelalters, op. cit., S.127. Henri Pirenne: Stadt und Handel im Mittelalter, Köln (Anaconda), 2009, S.117f. (urspr. u.d.
Titel: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Europas im Mittelalter, Bern 1946;
La civilisation occidentale
au Moyen Age du milieu du
XVe siècle, in: Histoire du Moyen Age, t.VIII, 1933) |
Ein damit
verbundenes Problem der adäquaten Einschätzung und Bewertung des Phänomens Geld und Geldverleih im Rückblick auf das
Mittelalter liegt in der generellen Frage nach der Entstehung und
Entwicklung der Geldwirtschaft. Hier zeigt sich auch in seriösen historischen
Gesamtdarstellungen oft noch ein Relikt des Renaissance-Klischees vom
„finsteren Mittelalter“, wenn nämlich die Zeit der Germanenreiche auf
römischem Boden und das weitere frühe Mittelalter so dargestellt wird, als
habe es quasi nur eine Naturalwirtschaft gegeben. Eine auf lokalem Naturaltausch basierende Wirtschaft gab es jedoch
allenfalls in der Vor- und Frühgeschichte, für die Zeit nach dem
Zusammenbruch des weströmischen Reiches ist diese Vorstellung unzutreffend –
auch unter Berücksichtigung des tatsächlichen Rückgangs des Geldverkehrs. Die
erste Phase des Mittelalters als Zeit des Übergangs von einer
Naturalwirtschaft zur Geldwirtschaft im Mittelalter zu bezeichnen ist daher
fern der historischen Realität (Le Goff, S.24). Auch in der neuen Enzyklopädie des Mittelalters
kritisiert Michael Rothmann die These von der Naturaltauschwirtschaft.
Eigentlich handelt es sich dabei um eine sehr alte Erkenntnis, den bereits
1933 hat Henri Pirenne festgestellt: „Die Theorie,
welche den Ablauf der Wirtschaftsgeschichte in drei Epochen einteilt:
Naturalwirtschaft, Geldwirtschaft, Kreditwirtschaft, galt lange Zeit als
feststehend. Dabei hätte eine nähere Beobachtung ergeben müssen, dass sie
nirgendwo den Tatsachen entspricht und dass sie lediglich jenen Bestrebungen
nach Systematik entsprang, die lange Zeit die Wirtschaftsgeschichte
beherrschten. Zwar verstärkte sich die Rolle des Kreditwesens zusehends, ein
solches lässt sich aber zu allen Zeiten feststellen. Es besteht jeweils nur
ein quantitativer, nicht aber ein Unterschied prinzipieller Art.“ Seit dem 6.
Jh. prägten germanische Herrscher Münzen und im Frankenreich verbreitete sich
die Münzprägung unter Lockerung des ursprünglichen Regals (Regalium = königliches Vorrecht) so sehr, dass Karl d. Gr. dies unterband, das Regal wieder herstellte, den
Denar als Münze neu definierte (der später so genannte Karlspfennig) und
darüber hinaus auch in einer umfassenden Wirtschaftsreform Preise für
Getreide und Brot nach Sorten festsetzte. Dies wurde im Frankfurter Kapitular
erlassen, an einem Ort, der damals im wirtschaftspolitischen
Entwicklungsgebiet des Frankenreiches lag – vielleicht kein Zufall. Bis zum
9. Jh. wurden Münzen ausschließlich westlich des Rheins und in Italien, also
auf altem römischem Boden, geprägt. Doch welche Bedeutung hatte das Geld im
Alltag? Für das städtische Leben ist die
Vorstellung einer Naturalwirtschaft zu allen Zeiten absurd, Stadt bedeutet
Handwerk, Dienstleistung, Arbeitsteilung, Austausch der städtischen
Bevölkerung unter sich selbst sowie mit der ländlichen Umwelt und darüber
hinaus. Arbeit war Lohnarbeit, der Stadtrat wirtschaftete mit Steuern, die in
Geld erhoben wurden. Doch der Wirtschaftsfaktor Stadt innerhalb der mittelalterlichen
Gesellschaft wuchs erst im Laufe der Zeit und zu Beginn gab es die
„Zivilisationsgrenze“ entlang des alten Limes, hinter der neue Städte erst
entstanden. Und auf dem Lande? In der berühmt gewordenen Untersuchung des
Klosters Saint-Germain bei Paris (heute in Paris) aus der Mitte des 9. Jh.s über seine
verstreuten landwirtschaftlichen Güter im westfränkischen Reich geht hervor,
dass von den hörigen Bauern außer Dienstleistungen und Abgaben in Naturalien
auch ein Kopfzins in Höhe eines Denars gefordert
wurde. Dies wirft ein Licht auf die Präsenz des Geldes in einer Zeit, die
viele gerne noch zur Hauptphase der Naturalwirtschaft zählen. In der Zeit
realer Knappheit von Münzen hieß dies, dass dieser Kopfzins
nicht unbedingt durch Münzgeld bezahlt wurde, sondern evtl. auch durch
Naturalien von entsprechendem Wert. Gleichwohl hatte es seinen Grund, dass
diese Abgabe in Geldwert festgelegt wurde, und dies verdeutlicht, dass Geld
zumindest als Rechengröße Teil der wirtschaftlichen Transaktionen bis hinunter
zum einfachen Bauern war oder zumindest sein konnte, je nach
Repräsentativität dieses Beispiels aus dem Bereich klösterlicher
Grundherrschaft auf ehemals römischem Boden.
|
Vgl.
Pirenne, op. cit., S.188f. |
Die Kirche hatte, ganz anders als man vermuten mag, von Anfang an eine sehr enge Verbindung zur
Geldwirtschaft, legte sie doch aus praktischen Gründen Wert darauf den
Kirchenzehnten soweit es ging in klingender Münze einzutreiben. Die Kirche
war die einzige Institution, die großräumlich, ja letztlich europaweit
wirtschaftete. Abgaben in Naturalien waren da schlichtweg unpraktisch und
allenfalls lokal oder regional von Nutzen, z.B. zur Versorgung eines Klosters
usw. Doch selbst das Kloster Saint-Germain legte, wie erwähnt, schon im 9.
Jh. Wert auf wenigstens zum Teil in Geld berechnete Abgaben. Die Kirche war
über lange Zeit der größter Horter von Geld und
dieses thesaurierte Geld wurde zum Teil von Goldschmieden in Kirchen- und
Klosterschätze umgeschmolzen, die in Zeiten der Not wieder zu Geld gemacht
werden konnten. Le Goffs Hinweis auf diesen wenig
bekannten oder wieder vergessenen Aspekt der Kirchenschätze (Le Goff, S.18)
wäre ein Thema für eine gesonderte Betrachtung, gibt es doch genug Parallelen
aus der ethnologischen Forschung über sogenannte primitive Völker. Le Goff
folgt hier jedoch weitgehend Pirenne, der dies
schon 1933 hervorhob. Für den vorliegenden Zusammenhang ist wichtig, dass die
Kirche dadurch auch zur ersten Geldverleiherin im frühen Mittelalter wurde,
vor allem die Klöster. Dies könnte über weite Strecken durchaus in Form einer
interesselosen Hilfe für die Bauern von Statten gegangen sein, aber offenbar
erkannten die Klöster dann darin auch eine zusätzliche Einnahmequelle. So
waren die ersten Ermahnungen und Zinsverbote Anleitungen für die Kirche
selbst, und zwar sowohl bei der „Gründung“ der Kirche auf dem Konzil von
Nicäa 323, als auch später im Mittelalter, als das ursprüngliche Gebot der
christlichen Hilfe für den Nächsten offenbar in Vergessenheit geraten war und
sich die Klöster zu für die Zeit potenten Finanzinstituten entwickelt hatten. Ein weiterer
Faktor für die zumindest horizontale
(d.h. geographische) Verbreitung der Geldwirtschaft waren die Einnahmequellen
der Könige und später in zunehmendem Maße der Fürsten, insofern sie die
ursprünglichen Regalien übertragen bekamen, aber auch der Städte: Zölle aller
Art für die Nutzung bestimmter Wege, Überquerung von Brücken, Eintritt in die
Stadt zum Markt usw. Diese Zölle konnten nur durch Geld bezahlt werden.
Zusätzlich zur Entwicklung des Handels selbst hin zu einer immer ausgefeilteren Geldwirtschaft war also von Anfang an der
Handel als Austausch über eine räumliche Distanz hinweg an Geld gebunden,
ganz abgesehen davon, dass der Handel als solcher nicht, jedenfalls nicht
ganz, auf das Naturaltauschprinzip reduziert werden
konnte und von selbst immer ausgefeiltere Formen
der Geldwirtschaft entwickelte – ein Erbe des Mittelmeerraumes und des
interkulturellen Kontakts mit der islamischen Welt. Demgegenüber versuchte
das nördliche Handelsimperium der Hanse noch im späten Mittelalter moderne
Formen des Geldverkehrs und v.a. den „Borgkauf“
(das Kreditwesen) zu bekämpfen, dennoch unterlagen selbst dem noch
praktizierten Tauschprinzip Bewertungen auf Geldbasis: man ließ anschreiben
und verrechnete mit der nächsten Tour. Letztlich war dies auch eine Form des
Kredits, es sah nur nicht so aus… Kleiner Rückblick auf Le Goffs erstes Buch zum Thema: Jacques Le Goff: Kaufleute
und Bankers im Mittelalter, Berlin (Wagenbach), 2005 [Marchands
et banquiers du Moyen Age, Paris 1956…, 2006] Schon in
seinem ersten Buch hatte Le Goff die wesentlichen Grundlagen einer
Gesamtdarstellung der mittelalterlichen Geldwirtschaft gelegt. Einleitend zum
Abschnitt über den „Wucher“ konstatiert er darin lapidar aber zutreffend:
„Genauer betrachtet, zwang ihr Beruf den Kaufmann und Bankier zu Handlungen,
die die Kirche verdammte, also zu rechtswidrigen Operationen, die meistens
unter die Bezeichnung Wucher fielen.“ (S.77). Le Goff stellt die
„Machtlosigkeit der Kirche gegenüber den Kaufleuten“ (Überschrift eines
Abschnitts S.82f.) dar, die Auseinandersetzungen innerhalb der Kirche in
Bezug auf die Wucherfrage sowie die Möglichkeiten für Wucherer sich durch
Buße und gute Taten von der Kirche im Nachhinein oder wie im Falle des
päpstlichen Privilegs für die Lombarden im Vornherein Absolution erteilen zu
lassen. Ausführlicher
behandelte Le Goff die Thematik aus theologischer Sicht her in: Wucherzins und Höllenqualen. Ökonomie und
Religion im Mittelalter, Stuttgart (Klett-Cotta),
1988, 2008, wobei allerdings die gesellschaftliche Realität gegenüber der
Kirchendebatte in den Hintergrund geriet und im Vorwort von Johannes Fried
daher in Erinnerung gerufen wurde (siehe Literaturhinweis unten). |
Überarbeitet
18.6.2019 |
Kurze Auszüge und Zusammenfassungen aus
einer Studie zur Kreditwirtschaft von Bruno Kuske, 1927 |
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Die nachfolgenden kleinen Auszüge sollen
verdeutlichen, wie Wirtschaftshistoriker schon vor langer Zeit den Mythos vom
wirkenden Wucherverbot ad absurdum geführt haben. Die Arbeiten von Bruno
Kuske wurden international rezipiert. Bruno Kuske: „Die Entstehung der
Kreditwirtschaft und des Kapitalverkehrs“, in: Die Kreditwirtschaft, 1. Teil – Kölner Vorträge, Leipzig
(Gloeckner), 1927, 1-79. |
Der Autor bezieht sich auf Quellen aus
Köln, dem rheinischen und dem niederländischen Raum. Der Autor kritisiert hier v.a. Werner Sombart, Moderner Kapitalismus I, S.36 u.a.o. |
„[S.5]
„Der Begriff des Kredits war dem Mittelalter vollständig geläufig, und er drückte sich
auch ganz klar sprachlich aus. Man sprach von pecuniam credere, vom bonum creditum zum
Unterschied vom bonum promptum,
also vom kreditierten gegenüber dem bar
bezahlten Gut, vom creditor;
– ferner vom gelove,
dem Kredit, dem koufmansgelouven;
[…]“ Kuske
legt dar, dass die Schematisierung der Wirtschaftsgeschichte in die
Aufeinanderfolge von Natural-, Geld- und Kreditwirtschaft falsch ist (S. 2).
Er bezieht sich auf damalige Autoren wie Sombart,
doch kann man sich fragen, inwiefern dies nicht heute auch noch nachwirkt.
Die „kommerzielle Revolution“ des 14. Jh.s soll die
Geld- und Anfänge der Kreditwirtschaft eingeläutet haben, das kann man auch
bei Le Goff nachlesen. Jüngere Analysen zur Sozioökonmie
widerlegten schon damals diese schematische Trennung, so ist Geldwirtschaft
auch Tauschwirtschaft und der Naturaltausch basiert
auch auf einem jeweils festgelegten Preis, also einer rechnerischen
Vorstellung von Geld: „Tausch war
im Mittelalter die Bezahlung von Waren mit Waren unter Ausschluß
des eigentlichen Geldes.“ (S.4). Tatsächlich
war das „Borgen“ im ganzen Mittelalter Praxis und allen Formen gemeinsam war
die Aufnahme von Geld im Hinblick auf erwartete Einkünfte, vom einfachen
Bauern, der in Not oder einem zeitweiligen Engpass auf die nächste Ernte
setzte und Geld als Verbrauchskredit aufnahm, bis zum Kaufmann, der Geld als
Erwerbskredit aufnahmen, mit diesem Geld „arbeitete“, es vermehrte und dann
die geliehene Summe mit dem erzielten Gewinn zurückzahlte. Adige nahmen Darlehen auf und zahlten mit den erwarteten
grundherrschaftlichen Abgaben zurück oder verpfändeten diese gleich vorneweg,
wie es im späteren Mittelalter und in der Neuzeit der Fall war. Dabei
handelte es sich also um Verbrauchskredite auf hohem Niveau mit Tendenz zum
Kauf von Luxuswaren. Insgesamt war der Kapitalmangel im Mittelalter, anfangs
materieller Mangel an geprägtem Münzgeld, später Mangel an Kapital im
moderneren Sinne, kein Hemmnis auf dem Weg zur Kreditwirtschaft, sondern das genaue
Gegenteil: es bedingte sie und machte sie alltäglich. Kredit war „Kapitalsurrogat“ und so war das
Mittelalter „relativ viel mehr ein Zeitalter der Kreditwirtschaft als
die Neuzeit.“ (S. 24) Bei
allen Krediten fielen Gebühren, also Zinsen, an, da niemand umsonst Geld
verleiht. (S. 13ff.). Entsprechend war von Seiten des Geldgebers immer
Gewinnstreben im Spiel. „Es ist ein
Irrtum, wenn man behauptet, das Gewinnstreben sei im Mittelalter nur eine
belanglose Ausnahmeerscheinung gewesen. Der mittelalterliche Mensch hätte
sich damit begnügt, nur eine ‚ziemliche narrunge’
zu suchen. Er sei nur der ‚Idee des ehrenhaften Erwerbs’ gefolgt und habe
sich lediglich von der Rücksicht auf die ‚Standesehre’ leiten lassen […].“
(S. 5) Als
Kreditgeber im größerem Stil nennt Kuske „Juden und Lombarden“, unter
letzteren waren Italiener im Allgemeinen gemeint. Letztere waren auch
Großhändler, wovon die Juden zunehmend verdrängt wurden. (S. 16f.). Kuske
sieht hier tendenziell noch eine Abfolge durch Verdrängung - der Text ist
aber nicht ganz klar hierz -, die von der neueren
detaillierten Forschung hierzu nicht mehr geteilt wird, vielmehr muss man von
einer grundsätzlichen Parallelität ausgehen, wenn es auch regional sehr
unterschiedlich war. Immerhin legt Kuske auch dar: „Die
Lombarden überzogen seit dem 12. Jahrhundert Westeuropa mit einem dichten
Netz von Ansiedlungen, meist von Filialen im Dienste ihrer in Italien
sitzenden Zentralen in einer Weise, die an die Zweigstellen neuzeitlicher
Großbanken erinnert.“ (S. 25) Auf
den folgenden Seiten schildet Kuske die Konkurrenz zwischen Juden und
Lombarden im Wechsel- und Darlehensgeschäft sowie die Rolle kirchlicher
Institutionen dabei, die einerseits als Kreditnehmer auftraten, andererseits
aber auch die besagten Händler für sich arbeiten ließen. Entgegen
der landläufigen Meinung (bis heute), die im kirchlichen Wucherverbot ein
entsprechendes Korrelat in der Realität sieht (= die Verbote wurden befolgt),
legt Kuske dar, dass der permanente Kampf gegen den Wucher der Beweis für
dessen ungebrochener Existenz war, und dass die Verbote somit auch nicht nur
ständig theoretisch den Wucher verurteilten, sondern stets konkreten Anlass
dazu hatten: „Es wäre
abwegig zu behaupten, daß die sich seit dem
früheren Mittelalter so außerordentlich häufende Wuchergesetzgebung
nur theoretische Bedeutung gehabt habe und daß ihr
nicht die Zustände entsprochen hätten, die sie bekämpfen wollte. Das
Mittelalter neigt bekanntlich überhaupt nicht zur Gesetzmacherei.
Es erließ wenig Gesetze, und es kann seinem Staat eher vorgeworfen werden, daß er die Dinge zu sehr sich selbst überließ und daß er mit seinen Maßnahmen nachhinkte. […] Man muß von der mittelalterlichen Wuchergesetzgebung, die oft
geradezu wie eine Sisyphos-Arbeit anmutet,
annehmen, daß sie den volkswirtschaftlichen
Zuständen und Gepflogenheiten entsprach, das heißt, daß
der Wucher in allen seinen Formen immerfort betrieben wurde und immerfort zu
bekämpfen war. […]“ (S.9) |
>>Mittelalterlexikon >Bankwesen |
Überarbeitet und ergänzt 10.6.2019. Chronologische Reihenfolge
der Veröffentlichugn Bibliographie in chronologischer Reihenfolge 1. Publikationen 1990: Max Weber:
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und Sozialgeschichte. Aus den nachgelassenen Vorlesungen herausgegeben von S.
Hellmann M. Palyi, Berlin (Duncker & Humblot), 62011,
darin v.a. S. 235-240. R. Hoeniger:
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in: Zeitschrift für die Geschichte der Juden in Deutschland, 1.
Jg., 1887, Heft 1, 65-97.* Franz Xaver Funk: Zur
Geschichte des Wucherstreites, Tübingen (H. Laupp),
1901. Georg Caro: Sozial-
und Wirtschaftsgeschichte der Juden im Mittelalter und in der Neuzeit,
2 Bde, Frankfurt a.M. 1908, 21924,
Reprint Hildesheim (Olms), 1964. Moses Hoffmann: Der
Geldhandel der deutschen Juden während des Mittelalters bis zum Jahre 1350.
Ein Beitrag zur deutschen Wirtschaftsgeschichte im Mittlelalter,
Leipzig (Duncker & Humblot), 1910. (Staats- und sozialwissenschaftl.
Forschungen, hrsgg. v. G. Schmoller u. M. Sering,
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Bad Feilnbach, 1990. Js. E. Zlocisti: „Der Geldhandel der Christen in Deutschland
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1986. 2. Publikationen seit 1990: Hans-Jörg Gilomen: „Wucher und Wirtschaft im Mittelalter“, in: HZ
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im Messenetz Europas – Erträge der Forschung, hrsg. von Hans Pohl,
Frankfurt a.M. (Historisches Museum / Union-Druckerei) 1991, S.13-33. Robert-Henri Bautier / Robert Auty /
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1991ff., cf. „Lombarden“, „Zins“, „Wucher“ u.a. Michael Toch: „Geldverleiher und sonst nichts? Zur wirtschaftlichen
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117-126. Johannes Heil / Bernd Wacker (Hg.): Shylock? Zinsverbot und Geldverleih in
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Haferkamp / Franz Irsigler / Winfried
Reichert (Hg.): Hochfinanz im Westen des
Reiches 1150-1500. Trierer Historische Forschungen Bd. 31,
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2139-2164. Peter Spufford: Handel,
Macht und Reichtum. Kaufleute im Mittelalter, Darmstadt (WBG) 2004,
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2007. Gert Melville / Martial Straub
(Hg.): Enzyklopädie des Mittelalters, Darmstadt
(WBG), 2008, cf. „Wirtschaft“, „Kaufleute“, „Geld“ u.a. Johannes Fried: „Zins als
Wucher“. Eine Einführung, in: Jacques Le Goff: Wucherzins und
Höllenqualen, op. cit., 22008 (siehe oben), S.134-174. Jacques Heers: Le Moyen Age - une
imposture, Paris (Perrin) 1998, 2008, hier v.a.
“L’usure et le temps des tabous”, S. 305-324 Gregor Maier: Wirtschaftliche
Tätigkeitsfelder von Juden im Reichsgebiet (ca. 1273 bis 1350). Arye Maimon Institut
für Geschichte der Juden Studien und Texte Bd.1, Trier (Kliomedia)
2010. Jacques Le Goff: Geld
im Mittelalter, Stuttgart (Klett-Cotta), 2011. Jacques Heers: La naissance du capitalisme au Moyen Age. Changeurs,
usuriers et grands financiers, Paris (Perrin), 2012. Roberto Naranjo: Medieval Banking
– Twelfth and Thirteenth Centuries, eHistory at The Ohio State
University (2008). Der Jüdisch-Historische Verein
Augsburg liefert auf seiner Website Informationen gegen die Legende vom
exklusiv jüdischen Geldverleih aufgrund des angeblichen Zinsverbot mit
Belegen aus der lokalen Geschichte zum Geldverleih durch Christen und Juden. Das Mittelalterlexikon liefert auf
>Bankwesen und zu anderen Stichworten sehr präzise und seriöse
Informationen in knapper Form. Didaktische Angebote: Wolfgang
Geiger: „Spezereien und Zahlungsverkehr aus dem Mittelmeerhandel. Fortschritte
des modernen Geldwesens durch den Fernhandel im Mittelalter“, in: Geschichte lernen N°130, Juli 2009,
„Weltwirtschaft“, S.9-17. Wolfgang
Geiger: „Geld, Ghetto, Gelber Fleck.
Ein kritischer Blick auf gängige Klischees von Juden im Mittelalter.“ In: Geschichte lernen N°152, März 2013,
„Jüdische Geschichte“, S.9-15. Umfangreiche
Quellensammlung auf www.juedischegeschichte.de >Mittelalter und >Frühe
Neuzeit >Quellen 16. Jh. |
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